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Unter Feinden
Israelische Siedler in
Hebron:
Wie eine kleine radikale Minderheit Palästinenser
schikaniert
Von Meike Kolodziejczyk
Vor der Haustür der Al-Azzehs rottet eine kaputte Waschmaschine vor sich hin, daneben türmen sich Schrott, Müll und Geröll. Im Schatten unter dem Vordach spielen die zehnjährige Aghad und ihr kleiner Bruder Younis mit einem Ball. Immer wieder schauen sie zu den Wohncontainern hinter der Mauer auf dem Hügel, stets gefasst darauf, dass wieder Abfall runtergeworfen wird. Oder eine weitere Waschmaschine.
Die palästinensische Familie Al-Azzeh lebt in der H2-Zone von Hebron, direkt unterhalb der jüdischen Siedlung Tel Rumeida, die nur einen Steinwurf entfernt ist – im wahrsten Sinne des Wortes. „Die Siedler schikanieren und attackieren uns, wo sie nur können“, klagt Hashem Al-Azzeh. Vor einem halben Jahr seien sie bei ihm eingebrochen und hätten das gesamte Inventar verwüstet.
Vor der Moschee gefilzt
Der hagere Mittvierziger mit dem Schnauzbart sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer, vor ihm auf dem Tisch ein Glas Tee. Der fünf Jahre alte Younis trottet mit dem Ball herein und kuschelt sich an seinen Vater, der ihm über den Kopf streicht und dann auf die Narben auf der Stirn seines Sohnes deutet: „Wurfgeschosse der Siedler“. Ganz böse habe es seinen neunjährigen Neffen erwischt, den sich eine Frau auf dem Schulweg griff, ihm einen Stein in den Mund presste und seine Zähne zermalmte. Anzeigen seien erfolglos geblieben, seufzt Al-Azzeh. So ist das mit der Gerechtigkeit in Hebron: Die Siedler würden nie zur Verantwortung gezogen, sondern auch noch von den israelischen Sicherheitskräften gedeckt.
Hebrons Siedler gelten als militante, nationalreligiöse Hardliner, die auch in Israel kaum beliebt sind. Ihnen und den Fanatikern auf der palästinensischen Seite ist es zu verdanken, dass die Stadt im Westjordanland seit Jahrzehnten bizarrer Schauplatz ist von Verbrechen und Hass im Namen Gottes.
Vor der Ibrahimi-Moschee hat sich eine Menschentraube gebildet, in wenigen Minuten beginnt das Abendgebet. Die Muslime werden von israelischen Soldaten kontrolliert und gefilzt, Männer wie Frauen. Nach der Prozedur eilen sie die Treppe hinaus zur Höhle der Patriarchen, wo die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob nebst Gattinnen bestattet sein sollen. An die andere Seite des vergitterten Grabraumes grenzt die Synagoge; beide Religionen teilen sich dasselbe Gebäude und dasselbe Heiligtum. Teilen in Hebron heißt vor allem Trennen, Separieren.
Über die engen Basargässchen der Altstadt sind Metallnetze gespannt, in denen Steine und Plastikflaschen hängen. Gemüse fault und Fleischlumpen verwesen. An einer Stelle beult sich der Draht bedenklich unter dem Gewicht einer Kloschüssel, Siedler aus den Stockwerken oberhalb der Netze kippen Dreck und Fäkalien auf die Palästinenser, die in den Geschossen darunter wohnen oder dort in den wenigen Läden einkaufen, die noch geöffnet haben. Die meisten Familien sind fortgezogen und haben ihre Geschäfte aufgegeben, teils wegen der Schikanen der Siedler, teils auf Befehl des Militärs. Nur knapp 2500 Palästinenser leben noch in H2.
Dafür hat die israelische Armee etwa 1500 Verteidigungskräfte nach Hebron abkommandiert, zum Schutz von 500 Siedlern. „Wenn diese ihre palästinensischen Nachbarn angreifen, unternehmen die Soldaten generell nichts“, sagt Yehuda Shaul. Am Checkpoint zur Altstadt diskutiert er mit zwei Polizisten, die ihm den Durchgang verweigern, „weil mich die Siedler nicht besonders mögen“. Dabei sieht er aus wie einer von ihnen, trägt Kippa und Vollbart.
Shaul ist ein religiöser Jude und war während seiner Militärzeit lange in Hebron stationiert. „80 Prozent von dem, was ich damals tat, war nur dazu da, einzuschüchtern und die Palästinenser aus H2 zu vertreiben.“ Wahllos hätten er und seine Kameraden Wohnungen gestürmt, erniedrigende Leibesvisitationen durchgeführt oder nachts auf Fenster und Wassertanks gefeuert, „einfach so aus Überdruss“.
Heute leitet Shaul Führungen von „Breaking the Silence“, einer Initiative ehemaliger Henron-Soldaten, die das Ziel hat, „die israelische und internationale Öffentlichkeit zu informieren, was hier geschieht“.
Markt ohne Menschen
Alles „Lügen“, tobt der Siedlersprecher David Wilder, was „die Linken von Breaking the Silence“ erzählen. Genauso schlimm seien die internationalen Beobachter oder Menschenrechtsorganisationen wie B´selem und CPT, die Hebron „infiltriert“ hätten, „um dem Feind zu helfen“. Es finde eine ethnische Säuberung an den Juden statt, nicht an den Arabern.
Die Parolen in H2 sprechen eine andere Sprache. „Gas the Arabs“, „Vergast die Araber“ steht auf einer Gartenpforte. Daneben führt eine Treppe hinunter auf die Shuhada-Straße, dem Zentrum der Siedler. Eine Frau in der typischen Kleidung nationalreligiöser Jüdinnen – im Nacken gebundenes Kopftuch, langer Rock, langärmeliges Shirt – schiebt einen Kinderwagen über den Gehsteig, vorbei an einem Wachturm, aus dem ein gelangweilter Soldat schaut. Hundert Meter entfernt lehnt ein Soldat an einer Bank und erklärt einem vor ihm hockenden Siedlerjungen, wie seine Maschinenpistole funktioniert.
Ansonsten ist die Straße ausgestorben; der einstige Marktbezirk gleicht einer Geisterstadt. Die Tore der Läden sind verrammelt, einige mit Kletterpflanzen zugewuchert. Betonklötze und Stacheldraht blockieren die Zugänge, Palästinenser dürfen die Shuhada-Straße nicht betreten.
Hashem Al-Azzeh schmeißt den Computer an. Er hat zahlreiche Videos von Übergriffen der Siedler gesammelt, gefilmt von Palästinensern und Menschenrechtsaktivisten. Auf dem Bildschirm erscheint ein Dutzend Teenager, die vor einer palästinensischen Schule Kinder und ihre Lehrerin herumschubsen und dabei krakeelen: „Hebron ist eine jüdische Stadt. Verpisst euch!“
Eine weitere Sequenz zeigt, wie ein Mob versucht, in ein palästinensisches Haus einzudringen. „So was passiert vorzugsweise am Sabbat und an jüdischen Feiertagen, wenn die Siedler frei haben und sich langweilen“, sagt Al-Azzeh und legt die nächste CD ein. Durch ein Gatter hindurch beschimpft eine etwa 30-jährige Siedlerin eine verschleierte Palästinenserin als Hure. Es sei dieselbe Frau, die seinem Neffen die Zähne ausgeschlagen habe, sagt Al-Azzeh.
Seine Frau Nisrin betritt den Raum. Auf dem Arm hält sie den jüngsten Spross der Familie, die trotz allem nicht fortziehen will aus Tel Rumeida. „ Hier sind unsere Wurzeln, die Siedler kamen nach uns“, sagt Al-Azzeh. Zudem glaubt er fest an die „Ein-Staaten-Lösung“, an ein Land mit einer gemeinsamen Regierung, in dem Israelis und Palästinenser friedlich zusammenleben. Mit dieser Vision hat er im vergangenen Jahr eine Partei gegründet, die „Koalitionspartei für Gerechtigkeit und Demokratie“.
Hashem Al-Azzeh trinkt seinen Tee aus und steht auf. Ein Freund will ihm helfen, einen neuen Wassertank auf dem Dach zu montieren. Den alten Haben Siedler kürzlich zerstört.
Hebron ist allen drei
monotheistischen Religionen heilig und die einzige palästinensische
Stadt, in der jüdische Siedler mitten im Zentrum leben.
1929
ermorden Araber 67 Juden. Die britischen Mandatsherren evakuieren die
jüdische Minderheit aus der Stadt.
Nach dem Krieg von 1967
gründen nationalreligiöse Juden am Ostrand Hebrons
Siedlungen und besetzen Jahre später Häuser in der
Altstadt.
Im Hebron-Protokoll wird 1997 die Teilung der Stadt
vereinbart: H1 mit 150 000 Einwohnern verwalten die Palästinenser,
H2, wo 500 Siedler leben, die Israelis.