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Wenn Polizisten zu Tätern werden

Rassistische Übergriffe von Beamten sind ein großes Dunkelfeld – mit einer Verfolgung muss kaum jemand rechnen

Von Jörg Schindler


Im Februar 2005, einen Monat nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in Polizeigewahrsam, treffen sich in Halle rund 20 Führungskräfte der Polizei zu einer Lagebesprechung. Polizeioberrat Reinhard S. sagt dabei: „ Schwarze brennen eben mal länger.“ Niemand stört sich daran, außer einem Kollegen, der den Vorfall meldet. Der Mann wird anschließend wochenlang gemobbt, bis er entnervt seine Versetzung beantragt. Die Ermittlungen gegen S. werden eingestellt – kommt mit einem Verweis davon.

Im Oktober 2005 schreibt der Brandenburger Vizechef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Peter Lehrieder, im Fachblatt „Der Kriminalist“: Sinti und Roma seien die „Made im Speck der Wohlfahrtsgesellschaft“, sie nähmen ihre „Legitimation für Diebstahl, Betrug und Sozialschmarotzerei aus dem Umstand der Verfolgung im Dritten Reich“. Der Generalstaatsanwalt winkte ab: Es bestehe kein Tatbestand der Volksverhetzung. Gerichte schließen sich dem an.

Im April 2007 weigerte sich ein Deutscher nigerianischer Herkunft in Freiburg, seine Personalien anzugeben. Ein Polizist hetzt daraufhin seinen Hund auf den Mann, der schwört, die Worte “Friss den Neger!“ gehört zu haben. Er kommt mit zwölf Bisswunden ins Krankenhaus. Der Fall sorgt einige Tage für Aufregung. Dann hört man nie wieder davon.

Im Februar 2008 nimmt die Hagener Polizei den Türken Adem Özdamar mit auf die Wache. Keine Stunde später ist er tot. Es gibt etliche Hinweise auf Gewaltanwendung, aber was geschah, wird man nie erfahren. Die beteiligten Polizisten schweigen, die Staatsanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen nach wenigen Wochen ein.

Vier Fälle. Alles Ausnahmen. Vor allem deshalb, weil sie bekannt wurden. Das ist nicht normal. „Normal ist, dass Opfer von Polzeigewalt für sich behalten, was ihnen geschah – aus Angst, drangsaliert, abgeschoben oder ihrerseits angezeigt zu werden“, sagt Biplap Basu. „So kommt es fast immer, das ist das klassische Muster.“

Biplab Basu arbeitet in der Berliner Opferberatungsstelle „Reach Out“. Seit 25 Jahren kümmert er sich um Menschen, die von Polizisten als „Dachpappe“, „Brikett“ oder „Nigger“ verhöhnt werden, die man grundlos abführt, deren Wohnungen ohne Beschluss gestürmt werden oder denen noch Schlimmeres wiederfährt. Immerhin 70 Mal, sagt BAsu, habe er in den vergangenen vier Jahren Menschen zur Anzeige bewegen können. Zahl der Verurteilungen: keine. Auch das gehört zum klassischen Muster.

Polizisten, die zu Tätern werden: Das ist ein einziges großes Dunkelfeld, auf das nur gelegentlich – bei spektakulären Einzelfällen – ein matter Lichtstrahl fällt. Seit Jahren klagen Organisationen wie Amnesty International, dass Fälle von Polizeiübergriffen in Deutschland nirgendwo erfasst werden, mithin kein Mensch weiß, wie groß das Problem eigentlich ist. Der UN-Ausschuss zur Beseitigung von Rassendiskriminierung äußerte sich wiederholt „besorgt“ über rassistische Polizeigewalt in Deutschland. Eine Kommission des Europarats wunderte sich jüngst wieder darüber, dass hierzulande überproportional viele Beschwerden über Polizeigewalt von Ausländern stammen.


In Deutschland gibt es keine unabhängige Kommission, die Fälle untersuchen kann.

Was tut die Regierung? Sie leugnet das Problem. Mitte des Jahres beschied sie der Linksfraktion, die Polizei sei ausreichend gegen rassistische Tendenzen gefeit. Im übrigen stehe jedem „der Rechtsweg zu den Gerichten offen“.

Genau das aber halten Praktiker wie Basu für das Problem: In der Regel folge auf jede Anzeige gegen Polizisten eine Gegenanzeige. Und seltsamerweise ist es diese, die von den Staatsanwaltschaften vorrangig behandelt wird. Statistiken aus Berlin und Hamburg zeigen: wenigen Polizisten, die überhaupt angeklagt werden, müssen im Schnitt in 0,5 Prozent aller Fälle mit einer Verurteilung rechnen. Für das Anti-Diskriminierungsbüro in Berlin ist deshalb klar: „Schläger in Uniform haben so gut wie nichts zu befürchten.“

Weil das so sei, habe sich in etlichen Revieren längst ein „pervertierter Corpsgeist“ breit gemacht, sagt ein Ex-Polizist aus Hamburg, der selbst jahrelang Zeuge der „Herren-Untermenschen-Diktion“ seiner Kollegen wurde. Regelverletzungen von Uniformierten gebe es“ jeden Tag in jeder Großstadt mehrfach“. Wer sich dagegen auflehne, sei „automatisch ein Kameradenschwein“. Der eigentliche Skandal aber sei, dass die Justiz, manchmal auch die Politik, diese Verstöße noch decke. Treffliches Beispiel: Der Fall eines Schwarzafrikaners, der auf einer Hamburger Wache vor Jahren von Freunden und Helfern brutal misshandelt wurde. Es kam zu einem Prozess, in dem die Prügel-Polizisten sogar verurteilt wurden. Die legten Widerspruch ein, aber noch vor Abschluss des Falles wurde der Afrikaner abgeschoben – danach erfolgten die Freisprüche.

Steckt dahinter System? Unsinn, sagt Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Natürlich gebe es auch in seiner Truppe schwarze Schafe, sagt Freiberg der FR, die aber müssten „mit allen Konsequenzen rechnen“. Das sei für ihn eine „Herzensangelegenheit“, beteuert Freiberg. „Wenn es Zweifel gibt, werden wir immer dafür sorgen, dass sie restlos ausgeräumt werden.“

Dass Polizisten gegen Polizisten ermitteln, sei aber eben ein „grundsätzliches Dilemma“, heißt es bei Amnesty, wo gerade an einem neuen Report über maßlose Polizeigewalt gearbeitet wird. Sie höre „immer wieder Berichte über ausländerfeindliche Beschimpfungen durch Polizisten“, sagt AI-Referentin Katharina Spieß. Sie zu überprüfen, sei kaum möglich. Amnesty und andere Initiativen fordern daher schon lange eine unabhängige Kommission, ausgestattet mit der Befugnis, angezeigte Fälle von Polizeigewalt zu untersuchen. In vielen europäischen Ländern – darunter Großbritannien, Irland, Österreich, Schweden und Ungarn – gibt es das bereits. In Deutschland nicht Hier glaubt die Regierung, eine solche Kommission brächte „keinen Mehrwert“.

Lediglich Hamburg bildete vorübergehend eine Ausnahme. Nachdem dort Mitte der 90er Jahre Polizisten aufgeflogen waren, die sich einen Spaß daraus machten, Festgenommene mit Scheinhinrichtungen zu terrorisieren, reagierte der Senat und berief ein unabhängiges Gremium. 2001 musste es seine Arbeit wieder einstellen, der Innensenator wollte es so. Dessen Name: Ronald Schill – bekannt als „Richter Gnadenlos“.

Erschienen in der Frankfurter Rundschau vom 8.12.08



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