Wir Demokratiefeinde
Von Volker Schmidt
Studie der Uni Leipzig fördert rechtsextreme Einstellung vieler Deutscher zutage
Die Deutschen sind verbreitet ausländerfeindlich, autoritätsfixiert und demokratieunfähig. Sie haben wahnhafte Angst davor, ausgegrenzt zu werden, und der Nationalsozialismus wurde von ihnen nie verarbeitet.
Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie der Autoren Elmar Brähler und Oliver Decker von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Uni Leipzig. Sie hatten schon 2006 einem großen Teil der Gesellschaft ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ bescheinigt. Der damaligen quantitativen Studie mit Fragen zu Themenfeldern wie Autoritätsglaube, nationaler Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus lassen sie nun eine quantitative folgen: Sie ließen diskutieren, um Ressentiments genauer zu untersuchen.
Die Diagnose in Kurzform: „ Rechtsextremismus gedeiht auf dem Boden von Angst- und Ausgrenzungserfahrungen. Gleichzeitig zeigen sich weit verbreitete ausländerfeindliche Einstellungen sowie eine geringe Wertschätzung der Demokratie in der Bevölkerung.“ Sie hätten die Ausländerfeindlichkeit in der Erhebung von 2006 noch unterschätzt, so die Autoren. Sie sei in den jetzigen Gruppengesprächen die am stärksten vertretene Dimension rechtsextremer Einstellungen gewesen – auch, weil sie anders als etwa antisemitische Sprüche mit „besorgniserregender Selbstverständlichkeit“ geäußert werden konnte.
Angst vor Ausgrenzung
Die Ablehnung von Ausländern unterscheidet zwischen Migranten, deren Kultur (vermeintlich) der deutschen nahe ist, und solchen, die sich wenig „anpassen“ – das trifft insbesondere Muslime. Die Psychologen deuten das ebenso wie Ressentiments gegen „Asoziale“ (etwa Arbeitslose) als Projektion: Die Befragten hätten Angst, ausgegrenzt bzu werden, und verschöben diesen Druck auf andere. Diese Angst entstehe aus der Erfahrung der Schutzlosigkeit gegenüber ökonomischen und staatlichen Eingriffen, die als Gewalt empfunden würden.
Auch in der Beziehung zur NS-Vergangenheit diagnostizieren die Forscher eine schwere Störung: Über Täter in der eigenen Familie wird geschwiegen, Verbrechen werden kleingeredet, Schlussstriche gefordert. Die Analyse: Die Deutschen haben das Scheitern der nationalsozialistischen Größenfantasie als Kränkung erfahren und die entstandene Lücke als eine „narzisstische Plombe“ ersetzt: Das Wirtschaftswunder. Eine Plombe, „die in der Zeit gestiegener ökonomischer Unsicherheiten seit den 1990er Jahren ihren Halt verloren hat und den Blick freigibt auf antidemokratische Einstellungen nah an der Wurzel“.
Anerkennung als Schutz
In der Biographie der Probanden fanden Forscher Hinweise darauf, welche Erziehung Abhilfe schaffen kann: Anfällig für rechtsextreme Einstellungen war, wer mit autoritären Denkstrukturen in Gesellschaft und Familie sowie mit Gewalterfahrung aufwuchs; „umgekehrt wirken die Fähigkeit zur Empathie und die Erfahrung von Anerkennung als Schutz davor“. Darüber hinaus fordern die Autoren eine konsequente Demokratisierung von Schulen, Betrieben und Institutionen. Derzeit, so die Diagnose, erfahren viele Wahlen als den einzigen Moment, in dem sie an Demokratie teilnehmen – und auch das eher auf frustrierende Weise. Demokratie müsse aber erfahrbar sein.
Und um die NS-Verbrechen nachträglich aufzuarbeiten, setzen Brähler und Decker auf Denkstättenarbeit und Erinnerungskultur. Die dürfe aber nicht nur abstrakt von Schuld sprechen, sondern müsse Täter und Opfer aus je eigenem Umfeld benennen.