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Kongo: Der Krieg gegen die Frauen

Ann Jones


Es geschah an einem Nachmittag vor sieben Jahren. Fatuma Kayengelas Mann hatte die Tochter des Paares und ihre Cousine auf den Markt geschickt, um Öl für Lampen zu kaufen. Als die beiden 15jährigen heimkehren wollten, versperrten Soldaten ihnen den Weg und nahmen die Mädchen mit. Bei Einbruch der Dunkelheit machten Fatuma und ihr Mann sich auf, die Kinder zu suchen, und erfuhren, dass aus der Schule Schreie und Weinen gehört worden waren. Dort fanden sie die Mädchen so auf, wie die Vergewaltiger sie zurückgelassen hatten. Sie liefen zur Polizeiwache, um Hilfe zu holen, aber die Polizisten sagten, gegen Soldaten seien sie machtlos. Als Fatumas Mann wütend wurde, drohten sie, in einzusperren. Dankbar, dass die Mädchen wenigstens noch lebten, nahm Fatuma sie mit nach Hause.

Das war mutig. Denn wer in der Demokratischen Republik Kongo eine Vergewaltigung überlebt, gilt als Paria. Tradition und Religion machen das Opfer für das Verbrechen verantwortlich und verächtlich – das einzige Verbrechen, das ganz und gar dem Opfer, der Frau oder dem Mädchen, angelastet wird. Sie ist „besudelt“, aber schlimmer noch und ihr eigentliches Verbrechen ist, dass ihre Vergewaltigung die soziale Stellung des Gatten oder Vaters, dem sie gehört, beschädigt. Um seinen Ruf wieder herzustellen, muss er sie verstoßen. Fatumas Mann verhielt sich anders: Er stand zu den Mädchen. Und doch kam Fatuma sich angesichts dessen, was ihre Tochter durchmachte, ohnmächtig vor. „Damals“ so sagte sie, „wusste ich so wenig, dass ich meine Tochter nicht einmal ins Krankenhaus brachte.“ Doch sie beschloss herauszufinden, wie sie ihrem Kind und anderen, die sexuelle Gewalt überlebt hatten, helfen könnte. Weil aber Vergewaltigung ein Verbrechen ist, das Frauen und Mädchen in beschämtem Schweigen zu erdulden gelernt haben, hatte Fatuma zunächst keine Ahnung, wie viele Vergewaltigungsopfer es gibt. In der Demokratischen Republik Kongo (DRC) zählt man Hunderttausende.

Der Weg, auf dem die DRC den traurigen Ruhm einer Weltkapitale der Vergewaltigung erlangte, begann 1994, als nach dem Völkermord in Ruanda Hutu-génocidaires (die Interahamwe) in den Kongo flohen. Ihnen folgten 1996 Tutsi-Streitkräfte, die RPF-Truppen des ruandischen Präsidenten Paul Kagame, der sich mit dem kongolesischen Rebellenführer Laurent Kabila gegen den Präsidenten des damals so genannten Zaire verbündet hatte, gegen Mobuto Sese Seko. Diese überlebte Kreatur Amerikas aus dem Kalten Krieg hatte jahrzehntelang der Ausbeutung der enormen Bodenschätze seines Landes und dem Zerfal seiner spärlichen kolonialzeitlichen Institutionen präsidiert. Nun intervenierten die Nachbarländer auf beiden Seiten, besagte Reichtümer fest im Blick. Als es im Jahre 2002 dann zur Unterzeichnung von Friedensverträgen kam, standen mehr als 20 Armeen und Milizen im Kampf um das Gold , die Diamanten und das Koltan der DRC, und dem zwischenzeitlich ermordeten Laurent Kabila war dessen Sohn Joseph auf dem Präsidentenstuhl nachgefolgt. 2006 bestätigte eine Wahl, die fast 500 Mio. US-Dollar kostete, Joseph Kabila in seinem Amt.

Kabila sitzt einer Regierung vor, die (ohne Frauen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen) zu dem Zweck konstruiert wurde, vermittels ihrer vier Vizepräsidenten und 36 Minister sämtliche Interessengruppen (ausgenommen die Frauen) zu beschwichtigen und einzubinden. Es handelt sich um eine Variante jenes schwerfälligen Regierungstyps, der in Afrika mittlerweile nur zu vertraut ist und den politisch Verantwortlichen dazu dient, sich selbst zu bereichern, nicht aber dazu, öffentliche Institutionen funktionsfähig zu machen oder auch nur den Beamten, Lehrern, Ärzten, Soldaten und Polizisten ihre Gehälter auszuzahlen. Die Menschen im Ostkongo schimpfen, die 500 Mio. US-Dollar hätte man besser ausgeben können als für Kabilas Wahl, denn für sie geht – weit weg von der Regierung in Kinshasa – der Krieg weiter, bis zum heutigen Tage. Und das Gleiche gilt für die Vergewaltigungen.


Unvorstellbare Brutalität

Wenn Männer sie im Krieg unmittelbar zu ihrem Angriffsziel machen, haben Frauen und Mädchen Schreckliches zu erleiden. Die Interahamwe gelten als diejenigen, die sie schlimmsten Grausamkeiten verüben, aber jede bewaffnete Gruppe macht sich der Vergewaltigung von Frauen schuldig. Männer vergewaltigen, einzeln oder gruppenweise, Frauen und Mädchen jeden Alters. (Das Alter der Opfer, die bekannt werden, reicht von zwei Monaten bis zu 83 Jahren.) Männer schneiden Frauen auch die Brustwarzen oder die Brüste ab, verstümmeln die äußeren Genitalien oder schneiden sie ab, weiden schwangere Frauen bei lebendigem Leibe aus, um Föten herauszureißen und zu töten. Nach der Vergewaltigung führen Männer häufig Fremdkörper in die Vagina ein: Stöcke, Sand, Steinbrocken, Messer, brennende Holz- oder Holzkohlestücke oder geschmolzenen Kunststoff, hergestellt aus erhitzten Plastiktragetaschen. Verbreitete Praxis ist es das Vergewaltigungsopfer zu töten, indem eine Pistole oder ein Gewehrlauf in die Scheide eingeführt und abgefeuert wird; einige Opfer haben das überlebt. Viele Frauen sind von ihren Vergewaltigern geblendet worden, offenbar, damit sie die Täter nicht würden identifizieren können, und zahllose andere, denen zuvor Arme und/oder Beine abgehackt worden waren, ließ man in den Wäldern sterben. Soldaten entführen Frauen, speziell Mädchen von oft nur 10 oder 11 Jahren, auch, um sie als „Ehegattinnen“ gefangen zu halten. Manche Frauen und Mädchen, denen die Flucht gelang, berichten, man haben sie monatelang an Baumstämme gekettet und nur zu den täglichen Gruppenvergewaltigungen losgemacht. Viele berichten, wie sie den Tod anderer gefangener Frauen und Mädchen miterleben mussten, mit deren Ermordung ein Exempel zur Einschüchterung der anderen statuiert werden sollte oder die man im Wald zurückließ, wenn sie nicht länger „brauchbar“ waren.

Zehntausende von Vergewaltigungsopfern haben zwar überlebt, aber leiden anhaltend unter psychischen Symptomen der Traumatisierung – Depressionen, Angstgefühlen, Schlaflosigkeit, Verzweiflung – und physische Probleme verursachte Behinderungen: verstümmelte oder fehlende Gliedmaßen, Blindheit, verletzte oder zerstörte innere Organe und /oder Genitalien sowie durch den Geschlechtsverkehr übertragene Krankheiten, inklusive HIV. Viele haben Fisteln zurückbehalten, eine Beschwerde, die von mit der weiblichen Anatomie nicht vertrauten männlichen Kriegsberichterstattern oft ungenau oder falsch dargestellt wird. Als Fistel ist hier, allgemein gesprochen, jede Perforation der Gewebepartien zu verstehen, die den Geburtskanal von Harnröhre und/oder Rectum trennen. Es gibt unterschiedliche Fistelarten, je nachdem, wo Perforationen auftreten, doch im Ergebnis führen sie gewöhnlich zum unkontrollierten Austreten von Urin oder Kot oder beidem durch die Scheide. In weniger gewalttätigen Zeiten entstehen Fisteln meist bei komplizierten, langwierigen Gebärvorgängen, wenn der Fötus auf mütterliches Gewebe drückt, so die Durchblutung unterbricht und „tote“ Bereiche erzeugt, in denen das Gewebe abstirbt und aufreißt. Je jünger bzw. je kleiner die Mutter, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wehen sich hinziehen und Fisteln entstehen. Wenn Frauen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben, lassen Fisteln sich leicht verhüten, aber in den entlegenen Gebieten der DRC entstehen sie selbst in besseren Zeiten.

Denis Mukwege, der kongolesische Gynäkologe und Geburtshelfer, den die Weltpresse zum „Retter“ der Vergewaltigungsopfer ausrief, hatte sich vor dem Krieg in Fistechirurgie ausbilden lassen, um derartige Geburtskomplikationen behandeln zu können. In den letzten zehn Jahren jedoch musste er als Chef des Panzi-Hospitals in Bukawu, der Provinz Süd-Kiwu, Tausende von Fisteln operieren, von denen die allermeisten durch traumatische Verletzungen verursacht waren – durch brutale Mehrfachvergewaltigungen oder durch „Fremdkörper“. Mukwege tröstet sich damit, dass seit etwa einem Jahr zugleich mit dem Rückgang der Miliz-Aktivitäten in Süd-Kiwu auch weniger Fälle traumatischer Fisteln vorkommen. Allerdings ist unter den Patientinnen, die er heute wegen obstetrischer Fisteln operieren muss, jede dritte ein Teenager, ein früher als „Ehefrau“ gefangen gehaltenes Mädchen, das schon vor Jahren entbunden hat und dann in den Wäldern lebte, als Ausgestoßene, nach Urin und Kot stinkend und ohne jede Ahnung, dass sie Hilfe finden könnte. Bisher kommen die Patientinnen von Panzi aus der Umgebung von Bukawu. Mit einer zusätzlichen, mobilen Einheit und entsprechend größerer Reichweite „werden wir noch viele andere finden“, sagt Mukwege.


Vergewaltigung als Kriegstaktik

Sicher, es stimmt, dass im Kongo Männer Frauen schon lange vor dem Krieg als minderwertige Geschöpfe behandelten, denen es verboten war, markttaugliche Gewächse wie etwa Kaffee- oder Baumwollpflanzen anzubauen – verboten sogar, nahrhafte Speisen wie Eier oder Hühnerfleisch zu essen. Sicher, es stimmt, dass Männer es gewohnt waren, notfalls Gewalt anzuwenden, um Frauen zu Arbeiten oder sexuellen Diensten zu zwingen. Es stimmt auch, dass unter kongolesischen Männern Vorstellungen kursieren, die zur Vergewaltigung anreizen: etwa dass der Mann durch Sex stärker wird oder dass der Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau gegen Aids immunisiert. Und schließlich stimmt es, dass die Vergewaltigung eines Kindes traditionell lediglich als Verletzung der Rechte des Vaters gilt, dessen Eigentum „verdorben“ wird – ein Vergehen, dem man durch einen Vergleich beikommt, was so viel heißt wie durch eine von Mann zu Mann ausgehandelte Abfindungszahlung des Vergewaltigers an den Vater des Opfers. All diese kulturellen Faktoren gibt es, und doch reichen sie nicht aus, das zahlenmäßige Ausmaß und die Brutalität der Vergewaltigungen in der DRC während des letzten Jahrzehnts zu erklären. Von außen gesehen fällt es schwer, in dem Kriegsgeschehen dort überhaupt etwas anderes zu sehen als einen Feldzug gegen die Frauen. Erst vor wenigen Monaten, als der Krieg offiziell längst vorbei war, erklärte Generalmajor Patrick Cammaert, früher stellvertretender Kommandeur der UN-Truppen dort: „In der östlichen DRC ist es gegenwärtig gefährlicher Frau zu sein als Soldat.“

Wie gefährlich es ist, veranschaulicht die Tatsache, dass der UN-Sicherheitsrat im Juni 2008 die Resolution 1820 verabschiedete, welche „die sofortige und vollständige Einstellung aller Akte sexueller Gewalt gegen Zivilisten durch alle Konfliktparteien bewaffneter Auseinandersetzungen“ fordert. Die neue Resolution knüpft an einen anderen Markstein an, nämlich Sicherheitsresolution 1325, die zur vollen Beteiligung der Frauen auf allen Entscheidungsebenen von Konfliktbewältigung und Peacebuilding aufruft (und seit ihrer lautstarken Verabschiedung im Jahre 2000 weitgehend unbeachtet blieb). Resolution 1820 stellt klar, dass die massenhafte Vergewaltigung von Frauen im Kriege diesen ebenjene Beteiligung am öffentlichen Leben unmöglich macht, die Resolution 1325 Jahre zuvor zur entscheidend wichtigen Voraussetzung dauerhafter Friedensschaffung erklärt hatte.

Das Thema Vergewaltigung im Krieg hat jedoch eine weitere Dimension. Wie Resolution 1820 feststellt, werden im Verlauf bewaffneter Auseinandersetzungen „Frauen und Mädchen durch Anwendung sexueller Gewalt auf besondere Weise zum Angriffsziel, wobei diese auch als Kriegstaktik eingesetzt wird, um zivile Angehörige einer Gemeinschaft oder enthnischen Gruppe zu demütigen, zu unterwerfen, einzuschüchtern, auseinanderzutreiben und/oder gewaltsam umzusiedeln.“

Was bedeutet das? Oft heißt es, die Vergewaltigung von Frauen ziele darauf, Männer zu „demütigen“. (Der Vergleich eines Kongolesen, einem Mann die Frau zu vergewaltigen sei, als benutze man unerlaubt dessen Tisch, offenbart eine typisch männliche Auffassung vom Wert einer Frau.) Doch die Erniedrigung oder Herausforderung feindlicher Männer ist erst die Einleitung eines Prozesses, der darauf abzielt, das Leben einer ganzen Gemeinschaft zu zerstören und ein Gebiet zu „säubern“. Im Ostkongo funktioniert dieser Prozess folgendermaßen: Ehemänner verstoßen ihre vergewaltigten Frauen und zwingen diese so, für sich selbst zu sorgen, mit oder ohne ihre Kinder. Oder aber vergewaltigte Frauen ohne sichtbare Verletzungen verheimlichen ihren Ehemännern die Vergewaltigung und versuchen, einfach weiterzumachen. Im einen wie im anderen Fall wagen die Frauen sich kaum mehr heraus, um Brennholz zu sammeln, Wasser zu holen oder ihre Felder zu bearbeiten. Eine Zeit lang gehen Frauen gruppenweise zur Feldarbeit, aber irgendwann kommen Soldaten und entführen eine ganze Gruppe. Eingeschüchtert beginnen die Frauen ihre Felder zu vernachlässigen oder Soldaten stehlen die Feldfrüchte. Die Familien leiden unter Fehlernährung und Hunger. Ohne überschüssige Agrarprodukte, die sie auf dem Markt verkaufen können, haben die Frauen kein Geld. Sie können für ihre Kinder keine Schulgebühren bezahlen. Die Mädchen fürchten sich, zur Schule zu gehen, und auch Jungen bleiben weg. Manche Männer verlassen das Dorf, weil sie sich durch die Vergewaltigung ihrer Frau entehrt fühlen. Manche Männer verlassen es, um sich einer Miliz anzuschließen, sei es freiwillig oder unter Zwang. Manche Männer gehen, um in weit entfernten Städten Arbeit zu suchen und Geld zu machen. Viele Männer kehren nie mehr zurück. Manche der verstoßenen Frauen verlassen die Gegend ebenfalls, um in irgendeiner Stadt der LKW-Raststätte durch survival sex, „Sex zum Überleben“, Geld zu verdienen, indem sie ihre einzig verbliebene Ware verkaufen: ihren Körper.

Die zunächst örtlich beschränkte Hungersnot weitet sich aus. Die Kräfte der Menschen lassen nach, sie erkranken, haben aber kein Geld für einen Krankenhausbesuch, der im Übrigen auch zu gefährlich sein könnte. (Es gibt dokumentierte Fälle von Frauen, die nach einer Krankenhausbehandlung wegen Vergewaltigung auf dem Heimweg erneut vergewaltigt wurden.) Die Menschen beginnen an Krankheiten wie Durchfall, Lungenentzündung oder Malaria zu sterben, die sie in besseren Zeiten wahrscheinlich überlebt hätten. Eine Anfang 2008 vom International Rescue Committee vorgelegte Untersuchung bilanziert, dass es zwischen August 1998 und April 2007 5,4 Millionen „excess deaths“, sozusagen überschüssige Todesfälle, in der DRC gab, denn die meisten der Opfer starben an leicht verhüt- oder heilbaren Krankheiten. Bezeichnenderweise traten 2,1 Millionen dieser Todesfälle nach dem formellen Kriegsende von 2002 ein.

Auch kulturelle Normen sterben, wenn Frauen in Gegenwart ihrer Familien vergewaltigt werden; wenn man Jungen oder Männer zwingt, die eigenen Schwestern, Mütter, Töchter zu vergewaltigen, oder sie auf der Stelle zu töten, weil sie sich weigern; wenn Kindersoldaten gezwungen werden, Babys oder Großmütter zu vergewaltigen. Eine Vergewaltigung und die mit ihr verbundene Schmach, das Entsetzen über sie, zerreißen oft alle Beziehungen, so dass selbst die beste Familie zerfallen kann. In dem seltenen Fall des Gatten, der zu seiner vergewaltigten Gattin steht, muss dieser dann möglicherweise erleben, dass die Familie seines Bruders ihn nicht länger besuchen kommt und auch die des Onkels ihn schneidet. Halt und Dauerhaftigkeit ausgedehnter Familienbande, das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Verwandten, das wohltuende Geben und Nehmen, geradezu Herz und Seele der Gastfreundschaft, wie sie das traditionelle Alltagsleben im Kongo bestimmt – das alles verwelkt, zerbricht. Reste zerfallener Familien packen und ziehen in Gegenden um, die sie für sicherer halten. Die im Dorf zurückbleibenden Häuser stehen leer und werden bald von Soldaten geplündert. So zerfällt das Gemeinwesen. Wer geht, ist verzweifelt, mittellos und oft mit Krankheiten infiziert, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Wer bleibt, das sind die Alten, Kranken, Gebrechlichen. Wer zurückkommt, findet seine Besitztümer geplündert, seine Geräte gestohlen, Ernteerträge, Haustiere, Vieh geraubt, Freunde und Nachbarn verschwunden. Eben darauf läuft es hinaus, wenn Vergewaltigung als Kriegstaktik eingesetzt wird: Millionen Tote und das völlige Verschwinden vertrauter Lebensformen. Und entlang der Straßen schlagen sich Jugendbanden durch, betteln und drohen: Kriegswaisen, Kinder als Folge von Vergewaltigungen, die sich danach sehnen, selbst Soldaten zu werde.

Menschen wie Fatuma und ihre Familie versuchen durchzuhalten, doch selbst wenn der „Frieden“ kommt, müssen sie erleben, dass die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen anhält. Die Kriegsführungsgewohnheiten gehen nahtlos in den „Friedens“ – Alltag über. Und weil Vergewaltigung bis zur Verabschiedung der Resolution 1820 noch nicht als verbotene Kriegstaktik gewertet wurde, konnten Soldaten weiterhin Zivilisten vergewaltigen, ohne gegen die „Friedensabkommen“ zu verstoßen, einfach, indem sie ihresgleichen nicht bekämpften. (Und sie vergewaltigen immer noch.) Man betreibt „Peacebuildung“ und „Machtteilung“, bildet „Powersharing“ – Regierungen, erklärt Amnestie für Ex-Kombattanten, die gleichen Leute führen, während sie all dies betreiben, ihren Schattenkrieg gegen die Frauen, die Geheimwaffe gegen bekämpfte Gemeinschaften und Kulturen, fort. Der „dauerhafte Frieden“, nach dem die Vereinten Nationen streben, versinkt in einem Sumpf von Heuchelei, weil so viele unter den Machern, wenn sie die Dinge der Welt ordnen, Mysogynie, Frauenfeindlichkeit, selbstverständlich und geradezu unverzichtbar finden.


Freibrief für Vergewaltiger

Die Zahl der Männer, die wegen Verbrechen gegen Frauen in der DRC bestraft wurden, geht gegen Null. Eine Zählung kam zu dem Ergebnis, dass bei 14200 erfassten Vergewaltigungen zwischen 2005 und 2007 in der Provinz Süd-Kiwu, wo Fatumas Dorf liegt, nur zwei Prozent der Täter „zur Rechenschaft gezogen“ wurden, was immer das heißen mag. Vielleicht hat man ein paar Männer festgenommen, einige sogar strafrechtlich verfolgt, aber die Verurteilten lassen sich an einer Hand abzählen, und nur wenige bleiben tatsächlich im Gefängnis. Etwas Schmiergeld, und der Fall ist vergessen. Dass praktisch niemand wegen Vergewaltigung oder Folter bestraft wird, läuft auf einen Freibrief für jedermann hinaus. Lisa Jackson hat mit „The Greater Silence“ einen wichtigen Film gedreht, der die Vergewaltigungspraxis in der DRC unwiderlegbar dokumentiert. Sie zeigt darin einen Soldaten, der lachend zugibt, viele Male vergewaltigt und zu Gruppenvergewaltigungen angestiftet zu haben (er nennt es „making love“), und verkündet, sowas „passiert eben“ in Kriegszeiten. Wenn der Krieg vorbei sei, werde er nicht mehr vergewaltigen. Aber warum sollten er und seinesgleichen aufhören? Dass die Vergewaltigungen nicht geahndet werden, schafft eine Kultur der Straflosigkeit, in der die für die Ahndung (oder eben Nichtahndung) der Verbrechen Verantwortlichen sich in Komplizen der Täter verwandeln. Viele Männer betrachten diese Kultur der Straflosigkeit nicht etwa als barbarischen Bruch der Rechtsordnung, sondern sozusagen als das heutzutage eben Übliche, als einen Freibrief, der auch Zivilisten zu Praktiken ermutigt, die man von den Soldaten her kennt. Und seit die Kämpfer demobilisiert werden und ins Zivilleben zurückkehren, müssen vergewaltigte Frauen damit rechnen, ihren Vergewaltigern auf der Straße zu begegnen. Ihre Schreckenszeit hat kein Ende. Jede zehnte der traumatisierten Fistel-Patientinnen, die Mukwege behandelt hat, muss das Panzi-Hospital erneut aufsuchen – neuerlich vergewaltigt. Fatumas vergewaltigte Tochter, der es gelang, zu heiraten und ein Kind zu bekommen, wurde zwei Jahre später wiederum vergewaltigt, diesmal von sechs Soldaten, die ihren Mann zusammenschlugen und ihn zwangen zuzusehen.


Frauen organisieren sich selbst

Fatuma selbst war nach der ersten Vergewaltigung ihrer Tochter zu einer Frauenversammlung gegangen, zu der eine französische Hilfsorganisation eingeladen hatte. Dort erfuhr sie, wie Frauen Vergewaltigungsopfern helfen und etwas tun können gegen das Grauen, den Terror. Mit anderen Frauen aus der Gegend rief sie zu einer Versammlung in Kamanyola auf, und mehr als 1000 Frauen folgten dem Aufruf. Zwar kamen muslimische Frauen, von ihren Männern zermürbt, nicht noch einmal, und die Protestantinnen kehrten in ihre kirchlichen Gruppen zurück, aber etwa 200 katholische Frauen blieben dabei und gründeten, mit Fatuma an der Spitze, die Commune des Femmes de Kamanyola (CFK) . Die staatliche Entwicklungsorganisation GTZ aus Deutschland bildete sie darin aus, überlebende Vergewaltigungsopfer binnen 72 Stunden ins Krankenhaus zu bringen, wo die Behandlung Medikamente zur Vorbeugung gegen Geschlechtskrankheiten und HIV sowie Verhütungsmittel einschloss. Zwei Jahre lang (2001-2003) sorgte die GTZ für Transport und medikamentöse Behandlung der Vergewaltigungsopfer, die Fatumas CFK brachte.

Danach, nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen, kam es zu einer neuen Welle kriegerischer Feindseligkeiten – und einer neuen Vergewaltigungswelle. Fatuma und die anderen CFK-Frauen brachen das Schweigegebot und begannen mit Überlebenden und deren Familien über Vergewaltigung zu sprechen. Darüber hinaus reiste Fatuma jetzt auch in weiter entfernte Gemeinden, um dort mit Frauen darüber zu sprechen, wie sie Vergewaltigungsopfern helfen und ihre Gemeinschaften zusammenhalten konnten. Als im Jahre 2002 das International Rescue Committee (IRC) seine Tätigkeit in der Region aufnahm, bat die CFK es um Hilfe. IRC-Spezialisten für geschlechtsbezogene Gewalt unterwiesen die CFK-Frauen in der Beratung und Unterstützung von Vergewaltigungsopfern und klärten sie über Frauenrechte auf.

Um Fatumas Gruppe in die Lage zu versetzen, sich selbst zu finanzieren, kaufte die IRC den Frauen, die ja im Anbau von Feldfrüchten erfahren sind, ein Stück Land und führte sie in einige moderne Agrartechniken ein. Bei der ersten Ernte brachten die Frauen es auf drei Tonnen Mais. Das IRC kaufte ihnen zwei weitere Felder und lehrte sie, wie sie ihre Arbeit besser organisieren und brauchbare Aufzeichnungen fertigen konnten. Die Frauen eröffneten ein Büro an der Hauptstraße, unmittelbar neben dem Stützpunkt der FARDC, der Regierungstruppen, und zogen den Kommandeur ins Gespräch über das, was seine Soldaten taten. Sie begannen die Haushalte zu besuchen, aus denen verstoßene Vergewaltigungsopfer kamen, und erklärten Ehemännern und Schwiegermüttern, warum sie Verstoßenen wieder bei sich aufnehmen müssten. (das Beispiel des jungen Ehemanns von Fatumas Tochter, der zu seiner Frau steht, macht bei vielen Männern Eindruck.) Sie besuchen die Väter vergewaltigter Mädchen und überzeugen sie davon, dass man mit Vergewaltigern keinen „Vergleich“ schließt, sondern sie anzeigen muss. Die CFK-Frauen prangern Vergewaltiger, die ihnen bekannt werden, öffentlich an und versuchen ihren Beitrag zu leisten, damit diese vor Gericht kommen. Immerhin hatte die CFK in dieser Provinz, deren Justizsystem am Boden liegt, die Genugtuung, dass einige Täter tatsächlich verurteilt wurden. Von Zeit zu Zeit reist eine CFK-Delegation zum Gefängnis, um sich davon zu überzeugen, dass die verurteilten Männer tatsächlich einsitzen. Einige sind natürlich „geflohen“.


Die Rettungsgesellschaft

Auf Schritt und Tritt hat die CFK sich mit tief verwurzelten Vorstellungen und neu entfachten Vergewaltigungsgelüsten herumzuschlagen. Nehmen wir Charlotte Siapa. Vor drei Jahren kamen, als sie allein auf ihrem Feld arbeitete, zwei Milizionäre, ergriffen und vergewaltigten sie. Ihrem Gatten davon zu berichten, traute die junge Frau sich nicht, aber sie bat Fatuma um Hilfe. Fatuma schickte Charlotte ins Krankenhaus und riet ihr, anschließend zu Hause zu bleiben. Als der Ehemann argwöhnte, was geschehen war, sprachen Fatuma und die anderen CFK-Frauen auch mit ihm. Charlotte sei jetzt „Soldatenfrau“ und für ihn selbst unbrauchbar. Er verweigerte ihr das Geld, das sie brauchte, um Lebensmittel für sich und ihre beiden Kinder zu kaufen. Er weigerte sich, die Schulgebühren der Kinder zu zahlen; sie mussten die Schule verlassen. Er verweigerte Charlotte Kleidung und Schuhe. Er befahl ihr, das Haus der Familie zu verlassen. „Nach der Vergewaltigung“, sagt Charlotte, „war ich nicht imstande, irgendwem zu grüßen oder mich vor anderen Leuten sehen zu lassen. Ich dachte, sie könnten mir das Übel ansehen. Allmählich kam ich darüber hinweg, weil ich bei der CFK erfuhr, dass ich nicht die Erste war. Von Männern gruppenweise vergewaltigt zu werden – für Frauen ist das heute nur zu normal. Aber mein Mann ließ mich weiter büßen und jagte mich immer wieder weg. Und die Kinder auch.“ Schließlich kam Fatuma mit einer CFK-Delegation und Charlottes Familie, um dem Ehegatten klarzumachen, dass es jetzt reichte. ER müsse vor Gericht gehen, sich ordnungsgemäß von Charlotte scheiden lassen und ihr gestatten, mit den Kindern in das Haus ihrer Eltern einzuziehen. „Die Stärke der CFK jagte ihm Angst ein“, sagt Charlotte. „Er machte die Augen auf und sah mich in einem anderen Licht.“ Seither hat das Ehepaar sich versöhnt und ein weiteres Kind bekommen. Charlotte sieht Gott am Werk, der sie durch die CFK ins Leben zurückgeholt und ihr Familienglück wiederhergestellt habe.

Heute spielt Charlotte eine wichtige Rolle in der CFK-Führung. Sie kümmert sich jetzt um die Fälle junger Mädchen, die in der jüngsten Zeit vergewaltigt wurden –nicht von Soldaten, sondern von Zivilisten aus der eigenen Gemeinde. Eine Zwölfjährige, die ihr Lehrer vergewaltigte. Eine Neunjährige – vergewaltigt von einem Jungen. Eine Siebenjährige – vergewaltigt von einem Mann mittleren Alters. Eine Elfjährige, die der eigene Vater, und eine Siebenjährige, die der Pastor vergewaltigt hat. Das ist neu, vor dem Krieg gab es das nicht so, und die CFK-Frauen haben ihre liebe Not zu verstehen, was da vorgeht.

CFK. Spricht man die Abkürzung kongofranzösisch aus, mit leichtem Swahili-Akzent, so klingt das wie Say-ev-ko – Save Co., die Rettungsgesellschaft. Ebendies leistet die CFK: Sie rettet, Zunächst einmal rettet sie überlebende Vergewaltigungsopfer, aber im Grunde rettet sie ganze Familien, Dörfer, ja sie rettet das Konzept der Zivilität selbst, die Möglichkeit gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Die CFK ist nur eine von vielen Frauengruppen, die sich in der DRC gebildet haben; nur ein Beispiel dafür, was Frauen, wenn sie ein wenig Sicherheit und ein wenig Hilfe der internationalen Gemeinschaft finden, zustande bringen können – gegen die gewaltigen Zentrifugalkräfte, die durch Hunderttausende von „Akten sexueller Gewalt gegen Zivilisten“ entfesselt werden, und um dem so oft beschworenen, aber bisher kaum greifbaren dauerhaften Frieden endlich den Boden zu bereiten.

Aber die Frauen machen sich Sorgen über die Zukunft. Werden sie ihre Arbeit fortführen können? Sie brauchen Maismühlen, um ihre Ernteerträge zu Maismehl verarbeiten zu können, das mehr einbringt. Aber keine internationale Nichtregierungsorganisation hat die Mittel, ihnen diesen letzten Schritt zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu finanzieren. Ob auch die UNO sie im Stich lassen wird?


Ann Jones, PhD, Historikerin und Literaturwissenschaftlerin, Emergency Gender Advisor der UNO.

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