Lasst die Banken pleitegehen
Hermannus Pfeiffer
Die
Krise spitzt sich zu, die Notrufe, ob von Opel oder Schaeffler,
werden lauter. Die Bundeskanzlerin sieht Deutschland in der
schwersten Wirtschaftskrise seit 1945. „Eine solche Rezession,
die gleichzeitig in allen Ländern der Welt stattfindet, hatten
wir seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie“, verkündet Angela
Merkel am 11. März via „Bild“-Zeitung dem deutschen
Wahlvolk.
Gleichzeitig will die Bundesregierung weiterhin „Maß halten“. Dennoch tut sie, was in ihren Kräften steht, um alle Banken zu retten. In diesem Punkt sind die CDU-Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat völlig einer Meinung. Aber, so muss einmal gefragt werden, ist wirklich jede Bank systemrelevant?
Ja, antwortet das Bundesfinanzministerium: „Wenn Banken fallen, können sie das gesamte Bankensystem gefährden. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und auch Sparer wären verheerend.“ Diese unter Politikern jeglicher Couleur populäre Kernthese steht jedoch auf tönernen Füßen.
So gibt es auf der Welt keineswegs zu wenig, sondern zu viel Geld. Wenn Unternehmen oder Staaten derzeit in einer Kreditklemme festhängen, dann nicht, weil es an Geld, sondern an „Vertrauen“ – dem neuen wirtschaftswissenschaftlichen Kernbegriff – mangelt und die Konjunktur in den Keller saust. Die neoliberale Offensive hatte seit Mitte der 70er Jahre und dem Ende des Bretton-Wood-Systems mit seinen stabilen Wechselkursen für eine gewaltige Geldvermehrung gesorgt. Dazu trugen neue Finanzinstrumente, wie Hedgefonds oder Schattenbanken, ebenso bei wie der rasante Anstieg der (oligopolen) Gewinne – bei Großbanken stiegen die Anforderungen an die jährliche Profitrate von 10 Prozent des Eigenkapitals auf 25 Prozent plus X. Mittelbar sorgten auch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sowie die heikle US-Politik der Schuldenvermehrung dafür, dass ein ständig wachsender globaler Geldüberhang entstand. War noch um 1980 die weltweite „Realwirtschaft“ der Finanzwirtschaft quantitativ mit 2:1 überlegen, so ist sie heute mit 1:3.5 deutlich unterlegen. Vgl. Heinz-J. Bontrup, Die Wirtschaft demokratisieren! In „Ossietzky, 3/2009, S. 93-96. Dieser Überfluss kursiert um den ökonomischen Globus und sucht nach lukrativen Anlagen. So lange die Kurse steigen und neues Geld hinzuströmt, kann dieses System profitabel funktionieren. Der Profit geht dabei freilich letztendlich auf Kosten der „Realwirtschaft“ und des dort produzierten Mehrwerts. In der realen Wirtschaftskrise, die wir weniger stark auch ohne Finanzkrise hätten, entpuppt sich der aufgeblähte Finanzkapitalismus jedoch als Schneeballsystem.
Dieser Geldüberhang erlaubte den Banken lange Zeit eine rasante Expansion. Bundesweit gibt es rund 2000 Banken und Sparkassen. Allein die Bilanzsumme der Deutschen Bank beträgt 2202 Mrd. Euro und damit kaum weniger als das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik. Ein Äpfel-Birnen-Vergleich, gewiss, aber er veranschaulicht die Größenordnung, welche das Geldgeschäft mittlerweile erreicht hat. Faktisch haben wir es mit einer „Überproduktionskrise“ in der Finanzbranche zu tun, die immer mehr überflüssiges Geld in noch überflüssigere „Finanzprodukte“ investiert hat.
Warum sollten also nicht diejenigen die Zeche zahlen, die sich verspekuliert haben – hasardierende Anleger, spekulierende Bankmanager und abgezockte Aktionäre? Wegen der „kleinen“ Beschäftigten etwa? Denen wäre leicht mit jenen 80 Mrd. Euro zu helfen, die der Staat bereit ist, in die Banken zu pumpen – zusätzlich zu den 400 Mrd. Euro an Garantien, die der Bund übernimmt. Nein, die Banken müssen angeblich gerettet werden, weil sie „systemrelevant“ für die ganze Volkswirtschaft seien.
Gewiss sind Finanzdienstleistungen eine gesellschaftlich notwendige Infrastruktur. Ohne funktionierenden Zahlungsverkehr könnten wir kein Geld vom Girokonto abheben, und ohne laufend erneuerte Kredite wären die meisten Firmen zahlungsunfähig. Diese Infrastruktur besteht in Deutschland hauptsächlich aus Sparkassen und genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken. Die an sich privaten Konzerne Deutsche Bank/Postbank und Commerzbank/Dresdner Bank – an beiden ist der Staat mittlerweile beteiligt – mögen für die außenhandelsorientierte deutsche Wirtschaft ebenfalls unerlässlich sein. Sytemrelevant sind aber weder alle Universalbanken noch jede Spezialbank. Die Infrastruktur „Finanzdienstleistungen“ könnte mit einigen Banken weniger weiterhin reibungslos, wahrscheinlich sogar besser funktionieren, jedenfalls aus der Sicht der Volkswirtschaft und der Verbraucher.
Damit die Infrastruktur funktioniert, bedarf es allerdings einer kritischen Masse. Gehört die spezialisierte Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) dazu? Die Nummer acht unter Deutschlands Kreditinstituten würde bei einer geordneten Abwicklung die Infrastruktur keineswegs ernsthaft in Mitleidenschaft ziehen. Das Insolvenzrecht würde sogar das Überleben der soliden Teile der Bank ermöglichen.
Mit der an handwerklichen Fehlern gescheiterten HRE verschwände eine der größten Pfandbriefanstalten vom Markt. Pfandbriefe machen etwa ein Viertel aller Wertpapiere in Deutschland aus. Doch wären sie auch ohne HRE sicher, da sie mit Hypotheken großzügig abgesichert sind – trotz der existentiellen Krisen einiger Pfandbriefbanken ist darum bis heute noch nie ein Pfandbrief geplatzt.
Ein gerichtlich eingesetzter Sachwalter würde notfalls Sorge dafür tragen, dass Sparer und Anleger ihr Geld zurückbekommen. Die wenigen unbesicherten Schuldner, vornehmlich Versicherungen, würden dagegen tatsächlich Geld verlieren. Gerade für solche Fälle haben Allianz und Generali aber ihre Kapitalanlagen breit gestreut. HRE-Ausfälle wären daher zu verschmerzen. Und auch der Dominoeffekt, der andere Banken zum Purzeln bringt (und wie ihn die Bankenverbände ins politische Feld führen), ist nicht wirklich zu fürchten. Einer Bank, die durch die Pleite einer anderen Bank pleite ginge, gehörte ohnehin die Lizenz entzogen.
Der eigentliche Zweck der Rettung der HRE ist denn auch ein ganz anderer: Tatsächlich betreibt die große Koalition damit eine nationale „Industriepolitik“ zugunsten der „deutschen“ Banken. Der Zusammenbruch einer bis dahin im Ausland als geradezu bombensicher geltenden Pfandbriefbank würde die Refinanziereung von einem Dutzend global operierender inländischer Großbanken in Dollar, Yen und sogar in Euro verteuern, da alle Geldgeber fortan einen Risikoaufschlag erwarten würden – ein kostspieliger Wettbewerbsnachteil gegenüber US-amerikanischen und britischen Geldgiganten, die ebenfalls von einer nationalen „Industriepolitik“ profitieren.
In dem von der Bundesregierung im Februar d.J. verabschiedeten Enteignungsgesetz wird die „Sicherheit der Finanzmarktstabilität“ als Ziel genannt. Als „ultima ratio“ wird eine Enteignung angesehen. Dabei wäre im Gegenteil, schon um nicht nur die Verluste zu sozialisieren, sondern auch die Gewinne, welche in Absehbarer Zukunft wieder sprudeln werden, eine Verstaatlichung (Kapitalmehrheit, neue geschäftliche Leitlinien, Austausch des Managements, qualifizierte Kontrolle unter Belegschaftsbeteiligung) ein naheliegendes Mittel im Interesse der meisten Bürger. Das „letzte Mitte“ wäre dagegen die Insolvenz.
„Bad Bank“ HRE
Dass der Staat Banken am liebsten rettet, liegt auch an der gegenseitigen Vernetzung. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde der deutsche Finanzmarkt nach dem Vorbild der Londoner City liberalisiert. Der Verkauf von Unternehmensbeteiligungen wurde von der Steuer befreit, die Rente privatisiert und „Heuschrecken“ wurden zugelassen. Damit bereitete Rot-Grün die heutige Finanzkrise vor.
Auslöser der globalen Finanzkrise im Sommer 2007 waren die überbewerteten Kreditmärkte. Und dies betrifft nicht allein Wohnhäuser in den USA. Denn in den späten 90er Jahren hatte die Shareholder-Value-Ideologie die kaufmännische Zurückhaltung insgesamt unter sich begraben.
Ein Höhepunkt dieser fatalen Entwicklung war der umstrittene Zusammenschluss der privaten Münchner Hypotheken- und Wechselbank mit der halbstaatlichen Vereinsbank, aus der 1998 die Hypo-Vereinsbank hervorging. Bereits kurz nach der Fusion entdeckte der neue Vorstand jedoch ein Finanzloch über 3,5 Mrd. DM für uneinholbare Hypothekenkredite – ein Loch mit Folgen.
Zu den traditionellen Stärken der Bayern hatte die Finanzierung von Häusern, Fabrikgebäuden und anderen Immobilien gehört. An sich ein solides Geschäft, das aber vergleichsweise bescheidenen Gewinn abwarf. Zu wenig befanden die Shareholder-Value-Manager. 2003 spalteten die Münchner das angeschlagene gewerbliche Immobiliengeschäft in die rechtlich selbständige „Hypo Real Estate Holding AG“ ab und brachten sie an die Börse.
HRE war als von Anfang an eine „Bad Bank“, mit der sich die marode Konzernmutter von zweifelhaften Krediten befreien konnte, um dann 2005 von der italienischen Unicredit aufgekauft zu werden. Die Altaktionäre um die Münchner Rückversicherung kamen dank HRE und Unicredit mit einem blauen Auge davon.
Seit ihrer Gründung folgte HRE „nur“ einem Trend. Die bundeseigene KfW hatte swischen 2000 und 2004 für diverse Privatbanken Verbriefungen von Krediten im Gesamtwert von über 36 Mrd. Euro vorgenommen. Dazu wurden Darlehen in einem Paket gebündelt und als Wertpapier („Verbriefung“) auf dem Kapitalmarkt verkauft. Größter Verkäufer war laut „Handelsblatt“ die Hypo-Vereinsbank mit 7,62 Mrd. Euro, vor der der späteren Eurohypo. Ob dies nun grundsolide Kredite waren, wie die KfW behauptet, oder nicht: Entscheidend ist, dass die bundeseigene KfW den Weg für eine Art von Finanzprodukt frei machte, das maßgeblich zur Finanzkatastrophe beitrug.
Die Idee hierfür stammt aus den USA: Darlehensverkäufe hatten in den 70er Jahren erstmals dazu gedient, marode Kreditinstitute und Bausparkassen vor dem Zusammenbruch zu retten. In der Bundesrepublik kam es in den 90er Jahren bei privaten Großbanken zu kleineren Verkäufen, gefährdete Kredite unter anderem für obskure „Schrottimmobilien“ in Ostdeutschland abzusichern und die Risiken auf dem Kapitalmarkt zu verteilen. Aber bereits 2005 wurde der Bestand an notleidenden Problem-Krediten allein in Deutschland auf 300 Mrd. Euro geschätzt.
Für den ersten privaten Großverkauf zeichnet ausgerechnet die Hypo Real Estate verantwortlich. Im Jahr 2004 verscherbelte sie 4200 Hauskredite für 3,6 Mrd. Euro an den Finanzinvestor Lone Star aus Texas. Mit ihrem Ausverkauf auf dem Kapitalmarkt war HRE zwar zunächst diese Risiken los; der „Markt“ aber nicht. Andere Problemfälle konnte die HRE nicht rechtzeitig abstoßen, neue kamen durch die Expansion ins Ausland und 2007 durch die Übernahme des ertragsschwachen Staatsfinanzierers Depfa Deutsche Pfandbriefbank in Dublin hinzu. Um ihre vergleichsweise geringen Renditen aufzupolieren, setzte HRE zudem auf ein extrem wackeliges Finanzierungsmodell, das eigentlich gegen alle handwerklichen Regeln der Brancheverstößt: Langfristige Anlagen finanzierte die HRE durch kurzfristige Kredite. Regelrecht sind dagegen gleichlange Fristen.
Im Ergebnis der dubiosen Geschäftspolitik konnte die 2007 in den USA ausgelöste Immobilien- und Finanzkrise voll auf die HRE durchschlagen. Die Risiken trägt aber nun der Steuerzahler. So bürgt der Bund auch ohne Verstaatlichung bereits für runde 90 Mrd. Euro.
HRE war keineswegs die einzige Bad Bank, die Privatbanken gründete. Bereits zwei Jahre vor den Bayern hatten die Frankfurter Großbanken ihre schwächelnden Hypothekenbanken verschmolzen. Commerzbank, Deutsche und Dresdner Bank bündelten 2001 ihre Immobilienfinanzierungen über Konzerngrenzen hinweg in einer „Eurohypo AG“. Zuvor war ein Teil der Altlasten bereits verbrieft auf den Kapitalmarkt geflossen.
Die HSH Nordbank
Auch die derzeit ebenfalls in der Diskussion befindliche HSH Nordbank ist keineswegs systemrelevant. Die 2003 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte und für den Börsengang herausgeputzte frühere öffentlich-rechtliche Landesbank entwickelt sich für den Staat , wie die HRE, zu einem Fass ohne Boden. An beiden Instituten hält eine angelsächsische Finanzinvestorengrupppe um J.C. Flowers & Co. LLC mehr als 25 Prozent des Kapitals und damit eine Sperrminorität - nichts geht gegen ihren Willen. Mit dem neuen Enteignungsgesetz will die Bundesregierung nun Druck auf Flowers erzeugen. Das ist löblich, aber eine richtige Insolvenz hätte den Charme, einen lästigen Finanzinvestor elegant loszuwerden.
Gewiss, auch eine Pleite der HSH Nordbank, die sich in Steueroasen verspekuliert hat, wäre nicht umsonst zu haben. 15 Sparkassen würden wie Flowers quasi enteignet (wären aber auch froh, nicht noch mehr gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen). Die öffentliche Hand bürgt noch für 65 Mrd. Altgeschäft, die aus der zeit vor 2001 stammen, als der Europäische Gerichtshof dieses Privileg der staatlichen „Gewährträgerhaftung“ für Sparkassen und Landesbanken kippte – auf Initiative des privaten Bankenverbandes. Erst danach wurde die von der Landespolitik in Hamburg und Kiel vorangetriebene Rendite-Orientierung zur riskanten Parforcejagd, die bekanntlich ebenfalls aufgrund zu hoher (gesellschaftlicher) Kosten endete.
Das „System“ würde also auch durch eine HSH-Pleite nicht gefährdet. Die norddeutschen Firmen könnten fast genauso leicht – oder in der Wirtschaftskrise eben genauso schwer – Darlehen bekommen. Und in dem Spezialgebiet der Nordbank, der Finanzierung der nachhaltig profitablen Luft- und Seeschifffahrt, stehen ein Dutzend Interessenten längst hinter dem weltgrößten Schiffsfinanzierer Schlange.
Eines steht, allen Garantien des Staates zum Trotz, heute bereits fest: Die Überproduktionskrise in der Finanzwirtschaft wird – wie in der Automobilindustrie, wo ein Fünftel der Fabrikkapazitäten nutzlos sind – ohnehin „Opfer“fordern. Banken, denen nicht tatsächlich der Nachweis ihrer „Systemrelevanz“ gelingt, sollte der Staat deshalb fallen lassen.
Das wäre gut für die Volkswirtschaft und verschaffte dem Staat Spielraum, seine großzügige Neuverschuldung besser nachhaltig zu investieren. Nur so hielte die Regierung tatsächlich das viel beschworene Maß ein.
Hermannus
Pfeiffer, Dr. rer.pol., Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler, ist
freier Publizist in Hamburg